Als Gründervater der Erforschung von Gewalt an Schulen, inklusive Mobbing (von ihm „Bulliing“ genannt), gilt der schwedisch-deutsche Psychologie-Professor Dan Olweis. Im deutschsprachigen Raum sticht die schweizerische Professorin für Entwicklungspsychologie Françoise Alsaker hervor, die über die Zusammenarbeit mit Olweis in Norwegen auf das Thema stiess, das sie hinfort nicht mehr losliess.

Im Rahmen eines Forschungsprojektes entstand 1998 das Berner Präventionsprogramm gegen Mobbing = Be-Prox. Das Programm wurde bald auch in Schulen eingesetzt und gilt auch heute noch als das erfolgreichste, wenn es von Lehrpersonen mit der nötigen Kompetenz und Entschlossenheit angewandt wird. Dabei geht es nicht um möglichst schnelle, sondern v.a. um nachhaltige Ergebnisse. Mobbing-Prävention kann als ein Prozess verstanden werden, der sich über lange Zeit erstreckt und von der Arbeit in kleinen praktischen Schritten geprägt ist. Dabei müssen wir uns bewusst sein, dass gemobbte Kinder keine Chance haben, ohne Hilfe von aussen aus dem Mobbing herauszukommen. Beziehungsweise die Chancen sind in etwa vergleichbar mit denjenigen eines Stieres in der Stierkampf-Arena: Es kommt äusserst selten vor, dass es dem Stier gelingt, den Torrero auf die Hörner zu nehmen. Die „Spiesse“ von Mobbern und ihren Opfern sind extrem ungleich lang.

Respekt:

In zivilisierten Gesellschaften sollte man eigentlich erwarten dürfen, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Menschen sich mit einem normalen gegenseitigen Respekt begegnen. Leider ist das längst nicht immer der Fall. Dies bringt uns zu wichtigen Definitionen von Mobbing: 1. Mobbing ist das genaue Gegenteil von Respekt, 2. Mobbing ist ein Trampeln auf dem Selbstwertgefühl anderer, 3. Mobbing ist eine Überschreitung aller individuellen Grenzen, 4. Mobbing ist eine Verweigerung der Wahrnehmung des Opfers.

Erwachsene sollten ein gutes Vorbild für einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen sein. Kinder und Jugendliche sollten erfahren, was es bedeutet, Respekt voreinander zu haben. Sie sollten auch lernen, die Grenzen ihrer Peers (Mitschüler) zu respektieren und ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Verhaltensproblemen (z.B. ADHS/ Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) haben ein erhöhtes Risiko, gemobbt zu werden. Deshalb sollten das Verständnis, die Akzeptanz und Toleranz gegenüber individuellen Unterschieden auch bei Kindern gefördert werden.

Wahrscheinlich haben die meisten von uns schon einmal erlebt, wie es ist, von anderen Menschen rücksichtslos behandelt zu werden. Nicht selten fehlt es auch uns Erwachsenen dann – schon stressbedingt – an schlagfertigem Reaktionsvermögen. Umso schwieriger ist dies für Kinder, oft können sie nur entweder mit ungesteuerter Gegenaggression oder (noch häufiger) mit Angst und Rückzug reagieren.

Mobbing liegt in der Verantwortung der Mobber, nicht der Opfer

Diese wichtige Tatsache sollten wir uns immer wieder vor Augen führen. Auch Kinder mit irgendwelchen Defiziten und Schwächen haben die gleichen Rechte wie andere, von ihrem Umfeld anständig behandelt zu werden. Kinderrechte, die bei Mobbing verletzt werden: 1. das Recht auf eine gesunde Entwicklung, 2. das Recht auf Schutz gegen alle Formen von physischer und psychischer Gewalt oder Vernachlässigung, 3. das Recht auf Ausbildung, Spiel und Freizeit, 4. das Recht auf eine vertrauenswürdige, Geborgenheit bietende Umwelt, welche die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes fördert, sowie Verständnis und gegenseitigen Respekt.

Wichtige Vorgehensweisen/ die Macht des Schweigens brechen

Das Schweigen ist ein wichtiger Bestandteil des Mobbings: Opfer schweigen aus Angst und Scham, andere Schüler schweigen aus Angst oder Desinteresse, Erwachsene schweigen aus Unsicherheit, das Schweigen aller dient nur den Mobbern.

Das Berner Präventionsprogramm Be-Prox setzt diesem Schweigen deshalb gezielt die Kraft des Redens entgegen. Mobber haben Angst davor, entdeckt zu werden, weil sie sehr wohl wissen, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist. Oft verhindern sie mit Einschüchterungen und Drohungen, dass Opfer oder Mitschüler mit Erwachsenen über das Mobbing sprechen. Hinzu kommt, dass viele Menschen sich beim Ansprechen von Problemen unsicher fühlen, das Schlimmste befürchten, allgemein nicht gerne über schwierige Situationen reden. Doch gerade bei Mobbing ist das offene Aussprechen meist für die Lösung des Problems unabdingbar.

Aktuelle Vorfälle ansprechen und Stellung beziehen

Auch wenn es schwer fällt und etwas überraschend klingt: Mobbing ansprechen, aber Schuldzuweisungen vermeiden, weil nicht erwartet werden kann, dass die mobbenden Kinder  dadurch zu irgendeiner „Einsicht“ gelangen. Sondern Lehrpersonen sollten auf das Thema sensibilisiert sein und auf aktuelle Vorkommnisse reagieren. Beispiel: Tim hat einen schweren Stand in der Klasse und ist ein Mobbing-Opfer. Während des Unterrichts kommentiert Julia mit abschätzigem Augenrollen eine Antwort von ihm. Lehrer P. reagiert postwendend auf diese nonverbale Beleidigung, indem er Julia vor die Tür stellt. Die Klasse kann die Massnahme nicht nachvollziehen. Doch Julia selbst hat gemerkt, warum Herr P. so reagierte und verspricht in einem anschliessenden Gespräch dem Lehrer, ein solches Verhalten in Zukunft zu unterlassen. In der darauf folgenden Stunde nimmt Lehrer P. den Vorfall nochmals auf und erklärt, dass auch nonverbale Äusserungen beleidigend sein können.

Fazit: Indem man den aktuellen Anlass als Ausgangspunkt nimmt, steht nicht der Rückblick auf das Geschehene, sondern die Auflösung des gerade entdeckten Mobbing-Problems im Zentrum. Es handelt sich nicht um eine „Psychoanalyse“, sondern um eine pädagogische Massnahme. So kann die Lehrperson sehr klar Stellung beziehen und Mobbing als inakzeptable Form des Umgangs miteinander darstellen.

Anderes Beispiel: Ein Lehrer erfährt nach dreimonatigem Urlaub, dass sich in seiner Klasse eine schlimme Mobbing-Geschichte zugetragen habe. Der Lehrer ging folgendermassen vor: Er nannte keine Namen, aber alle wussten, wer welche Rolle innehatte und worum es ging. Dadurch, dass er keine Schuldigen und Opfer nannte, konnte sich kein Mobber verteidigen und das Opfer wurde nicht blossgestellt. Er wollte aber, dass alle die Verantwortung wahrnahmen und sagte deutlich in Form einer Ich-Botschaft, dass er Mobbing-Verhalten nicht tolerieren würde.

Auch hier: In der klaren offenen Kommunikation liegt sehr viel positive Kraft. Die Mobber wissen, dass man ihr Verhalten sieht, die Mitläufer wissen, was die Erwachsenen davon halten und die Opfer sehen, dass jemand sie ernst nimmt.

Nicht zu vergessen: Bedenkt man, dass kindliche Mobber, v.a. Jungen, als Erwachsene viermal häufiger straffällig werden als andere, lohnt sich die Präventionsmassnahme durchaus auch sehr für die Mobber, wenn man ihr Tun rechtzeitig unterbindet. Dies gilt übrigens auch für mobbende Mädchen, die zwar viel seltener straffällig werden, dafür sehr viel häufiger zu ausgesprochen hinterhältigem und perfidem, verdecktem Mobbing neigen, wenn sie älter werden. Haben sie als 20-Jährige damit Erfolg, kann sich das Gemeine und Hinterhältige in ihrem Verhalten verfestigen und sie werden mit 40 zu eigentlichen Ekeln, die es geniessen,  andere, vorzugsweise durch Intrigen von hinten her, zu quälen.

Vorbildliches Thematisieren von Mobbing

Einzelne Schulen haben es sich zur Gewohnheit werden lassen, die gesamte Schüler- und Lehrerschaft am ersten Schultag in einer Aula zu versammeln, um die Schulordnung zu erklären und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die Schule eine klare Anti-Mobbing-Haltung vertritt. Auch werden Schüler darauf hingewiesen, dass sie sich bei Mobbing-Situationen an eine Lehrperson wenden sollen und ihr Anliegen mit Diskretion behandelt wird. Auch Filme, Bücher, aktuelle Nachrichten und lokale Ereignisse können in die Mobbing-Prävention miteinbezogen werden. Die Einstiegsmöglichkeiten müssen natürlich altersbezogen sein. Z.B. auf der Kindergartenstufe: Bilderbücher, Zeichnen und Malen, Handpuppen-Theater, Diskussion mit den Kindern darüber, was sie mögen und was nicht, was gute Freunde tun, bzw. was sie sich nicht antun sollten.

Abschliessend lässt sich sagen, dass eine aktive und wirkungsvolle Mobbing-Prävention sich noch längst nicht überall durchgesetzt hat. Aber überall, wo sie mit Erfolg eingesetzt wird, ist sie ein Segen nicht nur für die betreffenden Schulen und deren Kinder, sondern fördert auch für das spätere Leben in der Gesellschaft eine Kultur von Mitmenschlichkeit und gegenseitigem Respekt.


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